Die Strasse und ihr Lied vom Jetzt und Damals und Morgen

In der Dritten Version endlich fertig. Existiert in Auszuegen tatsaechlich seit dem beschriebenen Tag. Mit aktuellem Leben aufgefrischt.

Die Strasse ist elf Kilometer lang und steht auf Stelzen ueber der Strasse, deren besseres Ich sie ist. Ihr westliches Ende gabelt sich in zwei Rampen auf,  –  eine zum Auf-, eine zum Abfahren – die eine ueberlebensgrosses, in Gold gerahmtes Ganzkoerperbild von Koenig Bhumipol in goldener Robe einfassen. Ihr oestliches Ende ist eine medusaische Sammlung von in sich gewundenen und verknoteten Einzelpassagen, die nie stillzustehen scheinen. Der laengste Tentakel fuehrt bis vor die achte koenigliche Bruecke und auf ihr ueber den grossen Fluss und in das Herz der Stadt. Er senkt sich erst wuerdevoll und mutig in das ganz grosse Chaos ab, wenn es ihm schon lange ins Gesicht lacht. Fuer einen Reisenden in Bangkoks unersaettlichem Gemenge aus Gassen und Wegen und Alleen und Fallen kann er eine unverhoffte Leitung sein, eine Tuer hinaus aus alldem Rechts und Links, doch wer ihn sucht und ihn verpasst scheint fuer immer gefangen in Bangkoks kleiner, gemeiner Hoelle.

Der zweite Tentakel ist ein scheuer kleiner Bruder, das juengste Kind. Noch bevor er sich dem Auge der grossen Stadt aussetzt, wendet er sich ab und fuehrt sicher und stetig hinab auf eine Strasse, die den Reisenden, der wohl froh ist dem Monstrum entflohen zu sein, wieder eifrig nach Westen fuehrt, von dort, wo er gekommen ist.

Dann gibt es die beiden dicken Schwestern, Zwillinge, die traege und Hand in Hand absinken und den mit Sicherheit groessten Teil der Reisenden auf einem etwa 600 Meter langem, graden, breiten Stueck Strasse ausspucken, dass der Ordnung in Rechts und Links und Hierbleiben und Umkehren und Stehenbleiben und Colakaufen und den Fluss Ueberqueren gilt und wo grosse, rote und gruene Pfeile dem Reisenden Sicherheit vorgaukeln, bevor ihn die Pinklaobruecke uber das Wasser und in den Bauch allen Lebens traegt.

Bei meiner ersten Begegnung mit der Strasse nahmen wir den Weg der dicken Schwestern aus der Stadt hinaus. Der Tag war eine absurde Ansammlung von Nervositeat, Angst, Vorfreude und dem Gefuehl dass man hat, wenn die Achterbahn losfahert: Der Scheiss hier soll ja eigentlich Spass machen, aber worauf habe ich mich da denn wirklich eingelassen?  Ich befand mich in einem Auto, von dem ich irgendwann wissen sollte, dass es nicht UNSER Auto war, sondern ein Ersatzwagen, weil unser Auto in der Reperatur in Malaysia war und ausserdem waren da noch meine Ersatz-Eltern fuer ein Jahr. An diesem Tag wusste ich so vieles noch nicht. Ich hatte meine Ersatz-Eltern grade getroffen und alles schien soweit noch nicht viel mehr als nur nett zu sein, denn man weiss ja nie so wirklich und so fuhren wir also von dem Hotel ab, wessen Essen mich krank gemacht und wessen direkte Umgebung mich hatte zweifeln lassen, ob Bangkok ein guter Platz ist fuer einen halbwuechsigen Kleinstadtdeutschen mit Beduerfnis nach seeliger, sauberer Luft.  Ich versuchte meinem Gastvater sein Englisch abzukaufen und muehsehlig entwickelten sich Gespraeche ueber meinen Klogang und mein Fruehstueck. In der Reihenfolge. Tatsache.

Die fuer mich draengendste Frage also wurde nie gestellt: Lebe ich fuer ein Jahr in einer solchen Hoelle, die dem Abgrund, an dem ich die letzten drei Tage leiden musste? Oder befreit man mich von Platzangst und Klimaanlagenluft und diesem durchdringenden Klang von Lilienduft inneerhalb aller Waende und Kloakenschrankferomonen ausserhalb? Krieg ich Palmen?

All diese Fragen beantwortete dann die Strasse fuer mich mit jedem Meter, den sie mich meinem neuen Leben naeherbrachte. Der groesste Vorteil der Strasse sind ihre hohen Beine, die mir dann und jetzt und jedem immer ermoeglich das Land auf das wir zufahren zu ueberblicken, weil es uns erhebt ueber den Guertel aus Blocks und Schildern und Draehten und Laeden, der jede grosste Strasse in Thailand einschliesst wie ein Korb den Hahn. Auf der Strasse blicken wir auf die Flaechen die hinter diesen erwerblichen Traeumen liegen und damit in das wahre Gesicht des Landes, auf das wir zufahren. Und ich mochte es mit jedem Meter mehr, denn ich sah mehr und mehr Gaerten und Baeume und Holz und Wasser und immer weniger Gosse und Gasse und Galle und Gift. Und dann sah ich Palmen und die grossen, im abendlichen Daemmerlicht leuchtenden Schlangen, die nur Strassen sind. Sie sahen immer mehr aus wie Fremdkoerper in einem schoenen Land und nicht wie Koerperteile eines noch zu fremden Landes. Als mich dann die Strasse entlud in den Teil meiner Welt, den ich mittlerweile mehr liebe als die Strasse selbst, und ich einbug und ein grosses, leuchtend warmes, kuehlendes Haus zwischen den naehrenden Wassern erblickte, war ich wohl angekommen in meinem neuen Zuhause.

Damals wusste ich nicht, dass das Monster, dem ich nur entkommen wollte, sein Gesicht ewig wandelt und es wohl keine faszinierendere Stadt als Bangkok geben kann in dieser Welt. Ich lernte mit jedem Atemzug, den ich in fremden Wassern tat, das Absurde, das Unverhoffte und Unvorbereitete zu lieben und somit wurde der Schlag ins Gesicht, der Bangkok immer noch jeden Tag fuermich und jeden Thai ist, zu etwas unerklaerlich Schoenem,  weil er uns aufhellt und wachhaelt und gleichmuetig macht vor seiner unfassbaren Macht und Lebendigkeit. Und wenn ich heute meine liebe Strasse benutze, dann bin ich ihr immer noch dankbar fuer diesen ersten Tag und jeden weiteren in diese und in die andere Richtung. Denn wir alle brauchen den distanzierten Blick, den sie uns gebuehrt auf das, in das wir eintauchen.

Die Strasse zeigt mir mein geliebtes Monster aus der Ferne und ich kann mich wappnen fuer seine scharfen Zaehne und sein riesiges Herz. Das Herz und die Zaehne verschlingen mich erst, wenn sie es zulaesst, und ich weiss mit Sicherheit, dass sie mich irgendwann wieder nach Hause tragen wird.

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